Precht für Sloterdijk

Gestern lief im ZDF die letzte Sendung des Philosophischen Quartetts mit Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski. Das ZDF plant stattdessen eine Philosophie-Talkshow mit Richard David Precht.

Peter Sloterdijk durch Richard David Precht zu ersetzen, zeigt nur die Dummheit des ZDF. Ich habe nichts gegen Richard David Precht. Er ist telegen, kann vernünftig argumentieren und Philosophie verständlich vermitteln. Peter Sloterdijk jedoch ist ein Philosoph mit eigenständigen Ideen, eine Person der Philosophie-Geschichte! Der Vergleich mit den ganz großen Namen mag zwar nicht ganz passen, aber Sloterdijk abzusägen, ist eine ebenso große Dummheit, wie wenn man darauf verzichtete, Wittgenstein, Heidegger oder Nietzsche beim öffentlichen Denken zuzuschauen.

Die Nachhut

Walther von der Vogelweide: Ir sult sprechen willekomen

Walther von der Vogelweide: „ich wil miete“, neuhochdeutsch: „Ich will Lohn!“

Im gerade so wohl oder übel beleumdeten Klageruf der kulturellen Nachhut finde ich Autoren, die ich durchaus schätze und gern honoriert habe: Thomas Brussig, Christoph Ransmayr, Raoul Schrott, Julia Friedrichs, Christoph Hein, Günter Wallraff, Alice Schwarzer, Uwe Timm.

Meine Reihenfolge drückt keine Wertung aus. Sie folgt der Reihenfolge in der Unterschriftenliste. Dort freilich lese ich tatsächlich eine Wertung hinein. Dass nämlich der Bestseller-Autor Daniel Kehlmann am Anfang der Liste steht und der Bauchladenkünstler Klaus-Dieter Gleitze an ihrem Ende (am 13. Mai 2012, nachmittags um drei), das ist kein Zufall.

Ich stelle mir die Umstände so vor: Der Versteigerer von Verwertungsrechten Matthias Landwehr verfasst ein Pamphlet, in dem es um die Freiheit von feudaler Abhängigkeit geht, um die Harmonie zwischen Urhebern und Rechteverwertern, um gestohlene geistige Gegenstände sowie um Geiz und Gier. Hernach lädt er zur Unterschrift: ein paar Autoren, aus deren Schädeln er seine Hummersuppe löffelt (Arno Schmidt), Bewohner der Promi-Feuchtgebiete und noch ein paar andere, um auf eine dreistellige Zahl zu kommen. Der Rest unterschreibt ungefragt.

So verwundert es nicht, dass sich unter den ersten Hundert eher bekannte Namen finden und unter den nachfolgenden Hundertschaften eher Vertreter des künstlerischen Prekariats. Wer sind diese vielen unbekannten Urheber, die Nachhut der Nachhut? Aufmerksamkeitsökonomische Erfolglosigkeit sagt noch nichts über die Qualität ihrer Werke aus. Vielleicht kann ich in der Masse noch Perlen entdecken?

Ich werde also Google mit ein paar Namen füttern.

Ingrid Unterforsthuber

Den Namen findet Google etwa 200-mal. Auf den ersten Blick ist nichts dabei, was mit Urheberei zu tun hat. Es sei denn, „Wohlfühlmassagen“ sollen demnächst urheberrechtlich geschützt werden.

Angelike Emmerling Mari-Ann Vogelsang

Diesen Namen findet Google genau ein Mal: in der Urheberliste. Es ist also vermutlich ein Auszeichnungsfehler.

Einen Hinweis auf ein schutzfähiges Werk von Mari-Ann Vogelsang konnte ich nicht finden.

Angelika Emmerling hat sich anscheinend beim Schreiben ihres Vornamens vertippt. Auf myheimat.de befindet sich von ihr ein unscharfes Foto zu einem scharfen Text: Katholiken im Auto fahren voll auf Nächstenliebe ab. Darunter wiederum findet sich ein Pastoral der Straße, aus dem ich gelernt habe, dass es einen Päpstlichen Rat der Seelsorge für die Migranten und die Menschen unterwegs gibt, der sich auch um das Seelenheil der Autofahrer kümmert.

Titus Faschina Pim

… klingt wie ein faschistischer Comic-Held. Mit Titus Faschina kommt man jedoch zu einem transsylvanischen Heimatfilmer im Berliner Exil, der jedoch, wie mich weiteres Googeln belehrt, trotz seines Lega-Nord-Kampfnamens aus der DDR stammt.

Peetsche Peemöller

zeichnet und musiziert. Man beachte auch den Wortlaut der ersten Linkadresse! Ein Ordner auf dem Server heißt: /070603_goettlicher-peemoeller/.

Patrick O’Beirne

Ist das der gälisierte Künstlername von Peter Kohl? Nein, Pätrick Oh Birne ist kein Spross unseres Ehrenwort-Kanzlers. Patrick O’Beirne scheint sogar ein recht häufiger Name zu sein. Ich verlinke aber nur zu einem Musiker, der freie Musik anbietet.

Dieter Dankert-Peng

… ist vielleicht nicht mit Li Peng, dem Schlächter vom Platz des Himmlischen Friedens, verwandt, sondern einfach ein Fotograf ohne Website.

Henrik Fels von Barby

… klingt martialisch und war auch schon mal Kandidat bei „Schlag den Raab“.

Karina Krawczyk

Ist sie verwandt mit Stephan Krawczyk? Anscheinend nicht. Sie stammt aus Polen, ist Schauspielerin und Model und hat sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag.

Alice Pantermüller

… schreibt schöne Kinderbücher!

Fulvio Zanettini

… macht schöne Fotos.

Bhavana Bärbel Franke

… ist Malerin und Grafikerin.

Xao Seffcheque

Der Vorname klingt chinesisch, der Nachname (etwas) französisch. Es würde mich nicht wundern, wenn der Name aus dem Slawischen kommt: Sewchek oder Sewchuk. Vielleicht polnisch. Die russophoben Polen haben sich kulturell immer nach Westen orientiert. Da sie jedoch auch von den Deutschen nie Gutes erfahren haben, kommt ihr Geist erst in Paris zur Ruhe, so wie auch ihr Nationalheld Fryderyk Franciszek Chopin als Frédéric François Chopin in Frankreich ruht. Deshalb erscheint folgende Neuschreibung plausibel: aus polnisch Sewchek wird pseudogallisch Seffcheque.

Meine namensetymologische Assoziation ist allerdings falsch. Der Name kommt zwar tatsächlich aus dem Slawischen; Alexander Sevschek ist jedoch Österreicher. Auf seinen exotischen Künstler-Vornamen Xao setzt er zudem noch eine lusitanisch anmutende Tilde: Xaõ.

Xaõ Seffcheque ist Musiker und Drehbuchautor.

Ursula Blancke Dau

Der im netzkulturellen Kontext lustige Name DAU ist kein Scherz. Die Dame nennt sich selbst so. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Malerei, Fotocollagen, Videoarbeiten und Objekte.

Andreas Usenbenz

produziert experimentell elektronische Musik und hat eine Hompage mit selbstbezüglich verlinktem Großbild.

Arnim Schachtschabel

Der Kuscheltierdesigner Schachtschabel besitzt die Domain schachzabel.de.

Jürgen Schulzki

… ist Fotograf.

Adriana Sanmartin

… ist vermutlich keine Nachfahrin des Heiligen Martin, sondern eine Illustratorin und Designerin.

Dino Spiluttini

„Dino Spiluttini makes things“

Martin Sponticcia

… hat das Audiologo der Lufthansa komponiert.

Frank Felicetti

… klingt nach dem kleinen Glück beim Exil-Italiener. Frank Felicetti ist Allround-Künstler.

Schluss!

Meine kleine Liste der Merkwürdigkeiten ist abgearbeitet. Eigentlich hatte ich erwartet, unter so vielen sonderbaren Namen auch ein paar Fakes zu finden. Aber hinter den meisten Namen stehen durchaus respektable Künstler. Ihren Aufruf finde ich zwar dumm, doch ihre Werke nehme ich ernst. Am besten gefallen mir die grafischen Arbeiten von Dino Spiluttini. Auch die Kinderbücher von Alice Pantermüller könnten Perlen sein. Doch um mir darüber ein Urteil bilden zu können, müsste ich sie erst einmal lesen.

Zur Emanzipation der Klasse/Frauen

Tweet von @SFgezwitscher:

Neu auf dem SF: Der Gedanke der Frauenemanzipation in der Geschichte goo.gl/fb/fOnpN

Im Spiegelfechter-Artikel schreibt Stefan Sasse:

Die Frauen stellen zu keiner Zeit einen monolithischen Block mit einheitlichen Interessen dar. Die Behauptung des Gegenteils durch den Feminismus beruht auf dem gleichen Denkfehler wie Marx’ Theorie, die Bourgeoisie und Proletariat einheitliche Klasseninteressen zusprach. Beide konnten nie verstehen, warum sich Teile der von ihnen imaginierten Klassen ihrer Utopie entzogen.

Der Grund dafür liegt schlicht darin, dass die Gesellschaft komplexer aufgebaut ist, als die Vordenker dieser Bewegungen (die sich teilweise verblüffend ähneln) es wahrhaben wollten.

Der Autor behauptet einen Denkfehler bei Marx und nicht genannten Vordenkern des Feminismus: Frauen und Klassen seien keine monolithischen Blöcke mit einheitlichen Interessen. Als Begründung führt er an: Die Gesellschaft sei komplexer aufgebaut.

Damit ist noch kein Denkfehler nachgewiesen.  Im Gegenteil verweist das Argument auf eine Denkleistung: die Vielfalt der Phänomene nicht als Chaos wahrzunehmen, sondern in der Vielfalt das Allgemeine zu finden. Man nennt das auch Begriffsbildung.

Die Argumente, dass Gesellschaften komplexer seien und Menschen unterschiedliche Interessen hätten, sind soziologisch und psychologisch motiviert, verfehlen jedoch den Marx’schen Klassenbegriff. Marx‘ Interesse galt nicht der Gesellschafts- oder Seelenzergliederung, sondern der ökonomischen Analyse.

Ökonomisch lassen sich Klassen durchaus plausibel als widerstreitende Parteien mit je einheitlichen Interessen begreifen: Wenn es Menschen gibt, die Produktionsmittel besitzen, und Menschen, die keine Produktionsmittel besitzen, dann sind das wesentliche Merkmale, mit denen sich Klassen bestimmen lassen. Ob sich die Klassen dann noch weiter untergliedern lassen, zum Beispiel in Tagelöhner und Angestellte, trägt zum Verständnis der ökonomischen Prinzipien nichts bei. Weiterhin ist es unwesentlich, dass die Angehörigen einer Klasse individuell vielfältige Interessen haben können. Theoretisch bedeutsam sind allein jene Interessen, die allen Angehörigen einer Klasse gemeinsam sein müssen. Auch diese je einheitlichen Interessen dürften plausibel sein: Ein Kapitalist muss ein Interesse daran haben, für Arbeitskraft möglichst wenig zu zahlen; und ein Arbeiter muss ein Interesse daran haben, seine Arbeitskraft möglichst teuer zu verkaufen. Das ist die Logik des Marktes.

Ebenso ist es in der Geschlechterforschung theoretisch sinnvoll, Männer und Frauen als Gender mit je einheitlichen Interessen zu beschreiben. Aus feministischer Sicht ist es nämlich unwesentlich, dass Frauen nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen unterdrückt werden. Wesentlich ist die feministische Grundfrage: Werden Frauen wegen ihres Frauseins benachteiligt oder nicht?